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Gegen den Trend – auch kleine Kliniken zukunftsfähig

Wie auch kleine Krankenhäuser wie das Inselkrankenhaus Borkum oder das Krankenhaus Rheiderland im Klinikverbund eine Zukunft haben

Stefan Karl Förg, (Chefarzt/Facharzt für Innere Medizin), Kerstin Müller Oberärztin/Fachärztin für Innere Medizin), Valery Gisselle Rivas Rosado (Fachärztin für Allgemeinmedizin) und Gerd Wolzen (Oberarzt/Facharzt für Innere Medizin).

Immer wieder liest und hört man in den Medien, dass Krankenhäuser geschlossen werden. Gerade kleine Kliniken stehen vor großen Herausforderungen, sich in der Kliniklandschaft behaupten zu können. Neugierig darauf, wie das 8-Betten-Krankenhaus auf Borkum dem ökonomischen Druck standhalten kann, war auch Katrin Rüter de Escobar M.A., Chefredakteurin der Fachzeitschrift „Das Krankenhaus“, welche von der Deutschen Krankenhausgesellschaft herausgegeben wird.  Sie besuchte Klinikmanager Holger Glienke, den Chefarzt des Inselkrankenhauses Stefan Karl Förg und Markus Stötter von der nextclinics GmbH zu einem Interview auf der Insel:

Welche Rolle spielt die Klinik für die medizinische Versorgung auf der Insel? Und: Wie ist es generell um die medizinische Versorgung auf Borkum bestellt?

Neben der Klinik gibt es auf der Insel nur drei Hausarztpraxen inkl. einer integrierten Kinderarztpraxis und eine internistische Praxis am Krankenhaus für ca. 5.700 Einwohner und in der Spitze zusätzlich bis zu 35.000 Touristen und bis zu 1.000 Reha-Patienten. In der kassenärztlichen Versorgung ist keine weitere Facharztstruktur vorhanden. Am Krankenhaus ist auch der Rettungsdienst angesiedelt und es ist ein Hubschrauberlandeplatz vorhanden.

Borkum ist sehr weit vom deutschen Festland entfernt, die Fahrzeit mit dem normalen Fährschiff beträgt 2 ½ Stunden. Damit ist Borkum nicht mit anderen deutschen Inseln, Helgoland ausgenommen, zu vergleichen. Dazu kommt, dass es häufig Wetterlagen gibt, die dazu führen, dass der Hubschrauber als Rettungsmittel nicht genutzt werden kann. Das macht deutlich, warum neben der hausärztlichen Versorgung eine klinische Versorgung unabdingbar ist.

Wie viele stationäre Patienten nimmt die Klinik pro Jahr auf?

Das Inselkrankenhaus Borkum versorgt jährlich ca. 700 stationäre Patienten in seinen 8 internistischen Betten im Krankenhausplan. Die Bettenzahl kann zeitweise auf max. 16 Betten erhöht werden. Dazu kommt ein Notfallüberwachungsbett. Im Rahmen der Notfallerstversorgung werden darüber hinaus ca. 850 Fälle im Jahr versorgt.

Gibt es Synergieeffekte für die ambulante Versorgung?

Im Krankenhausgebäude ist eine internistische und eine hausärztliche Fachpraxis integriert, die über die MVZ-gGmbH des Klinikum Leer betrieben wird. Daneben gibt es weitere ambulante Versorgungsangebote in dem Gebäudekomplex in Form einer Physiotherapiepraxis, einer Logopädiepraxis, einem Hörgeräteakustiker, einer Zahnarztpraxis, einer telemedizinisch angebundenen Augenarztpraxis und einer Anlaufstelle für die Familienhebamme des Landkreises. Zudem beherbergt das Krankenhaus die Rettungswache des DRK.

Funktioniert das Zusammenspiel über Sektorengrenzen hinweg?

Auf einer Insel wie Borkum kennt und hilft man sich. Auf dem Klinikareal gibt es noch eine Wohnanlage mit 48 Wohnungen für ältere Menschen, die Hilfe und Service benötigen, falls erforderlich. Dafür steht das Zusammenspiel mit der benachbarten Pflegeeinrichtung mit rund 60 Pflegeplätzen und einer im Klinikkomplex betriebenen Tagespflegeeinrichtung mit 16 Plätzen. Die fünf auf der Insel vorhandenen Reha-Einrichtungen und die Hausarztpraxen überweisen bzw.  verlegen Patienten zum  Inselkrankenhaus. Hier werden akute Versorgungssituationen beherrscht, weiterführende Diagnostik und Therapie durchgeführt und im Bedarfsfall eine Verlegung zu einer weiterbehandelnden Klinik auf dem Festland organisiert.

Welche Rolle spielt die Telemedizin?

Für den überwiegenden Teil der Rehabilitationseinrichtungen gibt es einen Kooperationsvertrag, um im Krankenhaus neben der Facharztexpertise auch die Radiologie zu nutzen. Neben dem internistischen Röntgen kann im Rahmen der Telemedizin mit dem Festland, d. h. mit der Radiologie im Klinikum Leer, eine Befundung erfolgen.

Für stationäre und ambulante Patienten des Inselkrankenhauses stehen neben der telemedizinischen radiologischen Befundung im Klinikum Leer auch alle weiteren Fachärzte mit ihrer Expertise durch die vorhandene digitale Patientenakte telemedizinisch zur Verfügung.

Vor wenigen Jahren wurde die alte Klinik durch einen Neubau ersetzt. Wieviel wurde investiert, woher kamen die Mittel? Vom Land Niedersachsen?

Auf dem Areal des Inselkrankenhauses Borkum wurden insgesamt für rund 5.800 qm Nettonutzfläche ca. 17 Millionen Euro investiert. Die reine Krankenhausinvestition, inkl. ambulanter Versorgungsstruktur, beläuft sich auf ca. 6,5 Mio. Euro, wovon die Hälfte durch das Land Niedersachsen getragen wurde. Das Grundstück sowie die Abriss- und Entsorgungskosten des Altbestandes sind von der Stadt Borkum, und somit etwa 13 Mio. Euro durch das Klinikum Leer finanziert worden.

Neben dem Krankenhaus wurden eine Rettungswache mit Nebengebäuden, ein Hubschrauberlandeplatz, 18 Personalwohnungen, 48 Wohneinheiten für Service-Wohnen, eine Physiotherapiepraxis, eine Zahnarztpraxis, eine Tagespflege sowie weitere Räume für die ambulante Behandlung (Hebammen, Hörgeräteakustik, Augenarzt, Logopädie) errichtet.

Wie steht es um die stationäre Versorgung in Ostfriesland insgesamt?

Der Landkreis Leer mit 170.000 Einwohnern repräsentiert das südliche Ostfriesland. Hier ist eine flächendeckende Krankenhausversorgung mit einem hohen Spezialisierungsgrad vorhanden. Lediglich im Bereich der neurologischen und psychiatrischen Versorgung gibt es Lücken, die bereits seit einigen Jahren mit dem Land diskutiert werden. Hier soll zeitnah mit dem Land Niedersachsen eine Lösung gefunden werden, um die ortsnahe Versorgung zu verbessern.

Das Klinikum Leer selbst hat sich in den letzten Jahren mit den Standorten Leer, Weener und Borkum zu einem leistungsfähigen Schwerpunktversorger entwickelt. In alle Betriebsteile wurden in den letzten 15 Jahren rund 150 Mio. Euro investiert, so dass baulich und medizin-technisch drei neue Kliniken für die Versorgung der Bevölkerung zur Verfügung stehen. Diese Rahmenbedingung hilft uns auch, trotz der geografischen Randlage in der Republik, attraktiv bei der Personalgewinnung und Personalbindung zu sein. Darüber hinaus sind wir auch wirtschaftlich erfolgreich, so dass wir handlungs- und investitionsfähig sind.

Kommt das Land seinen Investitionsverpflichtungen in Leer/in Ostfriesland insgesamt nach?

In den letzten 18 Jahren gab es vom Land Niedersachsen nur vereinzelt in speziellen Bereichen (Borkum, Kinderklinik, Psychosomatische Medizin) investive Unterstützung. Denn in Leer gibt es ein weiteres Krankenhaus – und bisher galt in Hannover die Devise, dass nicht in Doppelstrukturen investiert wird. So sind von dem Investitionsvolumen in Höhe von 150 Mio. Euro der letzten 15 Jahre nur etwa 15 Mio. Euro vom Land Niedersachsen bei uns angekommen.

Welche Rolle spielen Netzwerke und Kooperationen mit anderen Institutionen und Leistungserbringern?

Generell ist es für Kliniken als Leistungserbringer der höchsten Versorgungsstufe im Gesundheitssystem wichtig, sich als Netzwerkpartner zu verstehen und Kooperationen zu pflegen. Dies tun wir im Landkreis Leer in vielfältiger Weise. Ein besonderes Leuchtturmprojekt ist hier die enge Zusammenarbeit mit der Uniklinik in Groningen/NL. Im Bereich der Krankenhaushygiene und Mikrobiologie arbeiten wir hier seit vielen Jahren eng mit Prof. Alex Friedrich zusammen und nehmen eine Vorbildfunktion wahr.

Das Thema Strukturwandel ist in aller Munde. Haben kleine Krankenhäuser eine Zukunft?

Wir treten den Beweis dafür an, dass auch kleine Krankenhäuser eine Zukunft haben können. Die derzeit geführte Diskussion, wonach pauschal kleine Krankenhäuser zum „Abschuss“ freigegeben werden, kann ich als erfahrener Klinikmanager nur bedingt nachvollziehen. Hier muss man zur Versachlichung kommen. In unserer Struktur im Klinikum Leer zeigen wir, dass eine Schwerpunktklinik auch mit zwei kleinen Portalkliniken (Weener und Borkum) gut bestehen kann. Alle Zentralbereiche sind in Leer angesiedelt, in den Portalkliniken sind im Wesentlichen Ärzte und Pflegekräfte präsent. Dabei muss selbstverständlich das Leistungsportfolio in kleinen Kliniken immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden.

Wie wird die Krankenhauslandschaft in Niedersachsen/in Deutschland in zehn Jahren aussehen?

Der Trend zur Konzentration von Kliniken, hin zu größeren Einheiten wird sich fortsetzen, auch  in Verbindung mit der Schließung von vielen kleinen Grundversorgungshäusern. Kleine Grundversorger werden nur bestehen, wenn es die geografische Lage bedingt (s. Borkum), ansonsten werden kleine Kliniken den Weg weiter beschreiten in die Spezialisierung, hin zu Fachkliniken. Diesen Weg sind wir auch für das Rheiderland Krankenhaus in Weener gegangen.

Wie genau sieht die Gesellschafterstruktur im Klinikum Leer aus?

Der Gesellschafter der Klinikum Leer gGmbH ist der Landkreis Leer, repräsentiert durch den Kreistag. Im siebenköpfigen Aufsichtsrat sind fünf politische Vertreter und zwei Mitarbeitervertreter. Der amtierende Landrat ist automatisch Aufsichtsratsvorsitzender.

Next Clinics GmbH steht bisher nicht unbedingt für die Versorgung „in der Fläche“, auf dem „platten Land“, eher für spezialisierte Medizin wie Reproduktionsmedizin. Wie kommt es zu der Rolle als Gesellschafter des Klinikums Leer als gGmbH?

Die Inselkrankenhaus Borkum GmbH war 100%-ige Tochtergesellschaft der Klinikum Leer gGmbH. Diese Gesellschaftsanteile wurden von der Next Clinics GmbH übernommen. Das Inselkrankenhaus Borkum wird über einen Betriebsführungsvertrag weiterhin durch das Klinikum Leer gemanagt, wie vorher in der Funktion als eigene Tochtergesellschaft auch, und ist so in den Unternehmensverbund mit gut 1.200 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von ca. 90 Mio. Euro eingebunden.

Die NextClinics GmbH hat ihr Kerngeschäft im Bereich der Reproduktionsmedizin, derzeit in vielen Ländern in Europa. Für die deutschen Aktivitäten steht die Inselkrankenhaus Borkum GmbH als Muttergesellschaft.

Ein vierseitiger Beitrag ist in der Märzausgabe der Fachzeitschrift „Das Krankenhaus“ erschienen (https://www.daskrankenhaus.de/de/aktuelles/zeitschrift-69).